Der Automobilhersteller General Motors will die Kontrolle über seine Unterhaltungs- und Navigationssysteme zurückgewinnen. Einem Bericht von Radioinfo zufolge will das Unternehmen daher die Unterstützung für Apple CarPlay und Android Auto aufgeben. Im Gegenzug sollen die im Fahrzeug selbst integrierten App-Angebote neu gestaltet werden.
Die Entscheidung von GM ist dem Bericht zufolge Teil eines branchenweiten Umdenkens, das das Auto als Gesamterlebnis und nicht nur als Transportmittel mit zusätzlichen Extras betrachtet. Ein weiterer Faktor sei die wachsende Erkenntnis der Branche, dass die über Apple CarPlay und Android Auto genutzten Apps die Infotainment-Systeme der Fahrzeuge umgehen und Daten sammeln, die den Automobilunternehmen nicht immer zur Verfügung stehen.
GM will künftig auf Google-Funktionen innerhalb eines vom Automobilkonzern selbst entwickelten Systems setzen. Der Start für das neue System erfolgt mit dem Elektrofahrzeug Chevrolet Blazer. Die wichtigsten Karten-Funktionen, Musik-Streaming und andere Features, die Fahrer bisher über Apple oder Android nutzen, sollen direkt mit der GM-Elektronik im Auto verbunden werden, so dass die „Zwischenhändler“-Technologie wegfällt.
Darum geht es wirklich
Ziel sei es, die Anzahl der GM-fremden Steuerungs-/Schnittstellentechnologien im Fahrzeug zu verringern und dem Unternehmen neue Einnahmequellen zu erschließen, die derzeit an die Telekommunikationsunternehmen gehen. Um sein Ziel zu erreichen, hat General Motors in den letzten zwei Jahren einige strategische Einstellungen vorgenommen, darunter Baris Cetinok und David Richardson von Apple.
In einem Gespräch mit dem Technologiemagazin The Verge sagte Cetinok: „Unsere Autos haben schon seit Jahrzehnten Software. Was sich meiner Meinung nach ändert, ist, dass die Software jetzt mehr in den Vordergrund rückt, wenn es darum geht, wie man mit dem Fahrzeug interagiert, und nicht das ABS, das es schon seit Jahrzehnten gibt. Die Kunden müssen eigentlich nichts [über die interne Technologie] wissen. Unsere Aufgabe ist es, diese Komplexität und die Auswahlmöglichkeiten zu verbergen. Alles, was sie wollen, ist ein zuverlässiges Auto, von dem sie einfach und bequem eine Wegbeschreibung erhalten, das sie so leitet, dass sie wissen, wann sie aufladen müssen, wie viel, wo die Ladestationen sind, dass sie ihre Musik streamen können, ihre Anrufe entgegennehmen können usw.“
Das Problem, dass von Kunden genutzte Apps, über die Entertainment-Systeme im Auto möglicherweise nicht verfügbar sind, sieht auch der GM-Manager: „Ich persönlich bin der Meinung, dass ich meine Podcast-Einstellungen von einer Podcast-App zu einer anderen mitnehmen können sollte.“ Das funktioniert durch Exportieren und Importieren der OPML-Datei schon heute. Cetinok nennt aber das eigentliche Problem nicht beim Namen: Wenn ich im Auto eine andere Podcast-App als auf Sonos oder dem Smartphone nutze, erfolgt keine Synchronisation des Hör-Fortschritts mehr.
Nach E-Autos will GM auch Verbrenner kastrieren
Cetinok sagt, GM werde Google Built-In und Google Automotive Services für die Inhalte nutzen, aber das Unternehmen werde „unsere eigene Erfahrung damit schaffen“. Langfristiges Ziel von GM ist es, das Fahrerlebnis in allen Fahrzeugen zu vereinheitlichen, wobei die neuen Schnittstellen zunächst nur in Elektroautos eingeführt werden sollen, um sie dann nach und nach auch für Benzinfahrzeuge zu nutzen.
„Ich bin nicht hier, um mit Spotify oder Apple Music zu konkurrieren. Sie machen einen fantastischen Job, indem sie all unsere Bedürfnisse beim Musikhören bedienen. Wir arbeiten mit ihnen zusammen, wir bringen ihre Apps auf unsere Plattform. Darüber mache ich mir also keine Sorgen“, so Cetinok. Und was ist mit klassischem Radio? Die von Audials bereitgestellte Webradio-Integration in meinem VW hat extrem viel „Luft nach oben“. Viele Programme fehlen, eigene Streams sind gar nicht erst vorgesehen. Ohne Apple CarPlay und Android Auto könnte ich Programme wie Big 105.9 aus Florida oder Triple M Classic Rock aus Australien im Auto nicht hören.
Mehr Nach- als Vorteile
Die Lösung, auf Google Automotive zu setzen, hat freilich auch Vorteile. Es gibt keine Verbindungsfehler zwischen Handy und Car-HiFi-System mehr. Allerdings stellt sich die Frage, ob es dann einen Google Play Store gibt, aus dem ich alle Apps laden kann, die ich über Android Auto bisher nutze. Ich möchte ja gar nicht von Anwendungen wie iHeartRadio, Audacy oder Live365 reden, die ich auf ein deutsches Auto dann vermutlich nicht mehr laden kann.
Wenn Apple CarPlay und Android Auto wegfallen, muss man wohl wieder auf die bewährte Bluetooth-Verbindung zwischen Mobiltelefon und Car-Entertainment-System zurückgreifen – inklusive Bedienung direkt am Handy-Display während der Fahrt. Das wäre nicht nur eine Verschlimmbesserung, sondern würde auch die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden.