Ich erinnere mich noch gut an das Frühjahr 2021. Damals war aus Kreisen der Politik, der Kassenärztlichen Vereinigung und auch von Verfassungsrechtlern zu hören, dass Menschen mit Corona-Schutzimpfung spätestens dann wieder zum normalen Leben zurückkehren können, wenn jeder ein Impfangebot bekommen hat. Mittlerweile ist es so, dass es wesentlich mehr verfügbaren Impfstoff als impfwillige Bürger gibt. Sprich: Das im Frühjahr angesprochene Szenario ist Realität.
Natürlich gibt es nach wie vor Ausnahmen. Für Kinder gibt es noch keine Impfstoffe. In anderen Fällen sprechen medizinische Gründe gegen eine Impfung. Diese Ausnahmen waren aber auch im Frühjahr schon absehbar und realistisch betrachtet wird es diese immer geben – wie bei jeder anderen medizinischen Behandlung auch.
Dennoch bin ich der Ansicht, dass es allmählich an der Zeit ist, Geimpften ihre seit eineinhalb Jahren vorenthaltenen Grundrechte zurückzugeben. Das was gestern in der Schaltkonferenz von Bund und Ländern – von einem Gremium, das es eigentlich gar nicht gibt – beschlossen wurde, sieht völlig anders aus. Die epidemiologische Notlage mit nationaler Tragweite soll über den 11. September hinaus verlängert werden.
Politik tritt Grundrechte mit Füßen
Die Politik tritt nicht nur die Grundrechte der Bürger mit Füßen. Sie handelt auch unlogisch. Einerseits sollen Inzidenzen richtigerweise nicht mehr alleiniges Kriterium für Corona-Maßnahmen sein. Andererseits wurden neue Einschränkungen ab einer Sieben Tage Inzidenz von 35 beschlossen.
Dieser extrem niedrig angesetzte Wert ist nicht nur lächerlich, sondern gegenüber den Bürgern auch arrogant und ignorant. Der Messwert „Infektion“ war schon seit Beginn der Pandemie fragwürdig, aber eben anfangs auch alternativlos. Vor einem Jahr wurde kaum getestet und erst recht nicht geimpft. Mittlerweile ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung geimpft. Dabei wissen wir, dass sich auch Geimpfte infizieren und die Inzidenz in die Höhe treiben können. Das aber ist doch egal, wenn sie nicht schwer erkranken, sondern vielleicht nur eine leichte Erkältung bekommen.
Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass eine Durchseuchung unter geimpften Personen von Vorteil sein kann. So werden auch ohne weitere Impfung neue Antikörper aufgebaut, die wieder für einige Monate vor einer neuerlichen Infektion schützen. Ja, mir ist bewusst, dass Geimpfte (mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit, wie selbst das Robert Koch Institut bestätigt) das Virus übertragen können. Das spielt aber kaum eine Rolle, wenn man weitgehend von ebenfalls Geimpften umgeben ist.
Normalität muss her
Wer sich bewusst gegen die Impfung entscheidet, sollte wissen, was er tut. Gleichwohl sollte weiter intensiv für Impfungen geworben werden. Wer sich nicht impfen lassen kann, ist aufgefordert, sich selbst bestmöglich zu schützen. Es ist aber meiner Ansicht nach absolut unverhältnismäßig, der Gesamtbevölkerung weiterhin Einschränkungen – in welcher Form auch immer – zuzumuten.
England hat im Juli den Freedom Day gefeiert und nahezu alle Corona-Maßnahmen beendet. Anstelle eines massiven Anstiegs von Neuinfektionen sind die Zahlen sogar gesunken. Schottland und Wales zogen mittlerweile weitgehend nach. Auch die Niederlande und Schweden gehen mit der Pandemie völlig anders um als Deutschland. In Dänemark werden die Corona-Maßnahmen schrittweise bis zum 1. Oktober beendet.
Die ach so böse Fußball-Europameisterschaft hat im Juni nicht zu dem massiven Anstieg an Neuinfektionen geführt wie von den „Zeugen Coronas“ befürchtet. Bei anderen Veranstaltungen, die in den vergangenen Wochen im In- und Ausland stattfanden, sah das nicht anders aus. Freilich findet man das sprichwörtliche Haar in der Suppe, wenn man gezielt danach sucht und etwas bewusst schlecht reden möchte.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht
Wenn die Politik heute beteuert, einen neuen Lockdown im Herbst verhindern zu wollen, dann glaube ich ihr das nach den bisherigen Erfahrungen während der Corona-Krise nicht mehr. Schließlich haben wir das vor einem Jahr schon einmal gehört. In Deutschland wird weiter Angst geschürt, anstatt den Menschen ihr richtiges Leben zurückzugeben.
Realistisch betrachtet wird uns das Virus dauerhaft begleiten. Besser als jetzt wird die Lage auch im kommenden Frühjahr nicht sein. Im Gegenteil: Neue Mutanten könnten dafür sorgen, dass tatsächlich wieder neue Maßnahmen erforderlich sind – nämlich dann, wenn die Impfstoffe nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt wirken. Doch wir können ja nun nicht dauerhaft mit Masken in der Öffentlichkeit leben, Veranstaltungen von Jahr zu Jahr verschieben oder ganz absagen, Abstandsregeln und weitere Einschränkungen in Kauf nehmen.
Nachdem Impfungen jetzt problemlos und flächendeckend verfügbar sind, ist es an der Zeit, den Bürgern ihre Rechte zurückzugeben. Der Wegfall der kostenlosen Schnelltests im Oktober sollte einhergehen mit einem deutschen Freedom Day – jetzt und nicht am Sankt Nimmerleinstag.