Als das terrestrische Digitalradio DAB Mitte der 90er Jahre in Deutschland im Rahmen von Pilotprojekten startete, war ich von Anfang an mit dabei. Hessen war vergleichsweise spät dran, also besorgte ich mir mein erstes DAB-Autoradio – von Grundig – über das bayerische Pilotprojekt.
Mir ging es dabei nie um besseren Empfang, Klang in CD-Qualität oder ähnliches, womit gerne im Zusammenhang mit dem digitalen Rundfunk geworben wird. Das zusätzliche Programmangebot gegenüber den auf UKW empfangbaren Radiostationen war für mich das Argument für DAB.
So richtig in Gang kam die Einführung des erklärten UKW-Nachfolgers aber nicht. Anders als etwa im Vereinigten Königreich, wo DAB ein großer Erfolg war und ist, wurden hierzulande nur vergleichsweise wenige Empfangsgeräte verkauft.
Neustart 2011
2011 sollte es mit DAB+ einen Neustart geben: Neuer Codec, viel mehr Programme und bundesweites Sendernetz. Das sollten die Schlüssel zum Erfolg sein. Am 1. August ging der – damals noch weit von einer bundesweiten Abdeckung entfernte – „Bundesmux“ offiziell an den Start.
Ich erinnere mich noch gut an den Freitag zuvor, als plötzlich erste Testsendungen im Rhein-Main-Gebiet zu empfangen waren. Ich kramte mein seinerzeit einziges für den neuen Codec geeignetes Radio von Microspot heraus und lauschte fasziniert den ersten Testsendungen.
Abends wurde der Stammtisch des Rhein-Main-Radio-Clubs e.V. (RMRC) zu einer Art DAB+-Aufschalt-Party. Ich besorgte mir innerhalb weniger Tage neue Empfangsgeräte für alle wichtigen Räume und für das Auto. Und ich freute mich über die neue Programmvielfalt.
Es geht langsam voran
Zehn Jahre später kann man sagen: DAB+ setzt sich wesentlich langsamer durch als es Optimisten 2011 erhofft hatten. Erste Programmveranstalter sind schon wieder Pleite und ob das terrestrische Digitalradio jemals den analogen UKW-Rundfunk komplett ablösen wird, ist weiter offen.
Ich freue mich über die Rock Antenne in fast ganz Deutschland. 90elf hat mit Sportradio Deutschland einen würdigen Nachfolger bekommen und das Lokalradio aus meiner Region, Radio Primavera, ist endlich fast überall am Untermain auch terrestrisch zu empfangen.
Hörer in Fulda gewinnen gegenüber UKW guten Empfang der Programme des Mitteldeutschen Rundfunks hinzu, verlieren aber gleichzeitig den Bayerischen Rundfunk. SWR3 in Köln oder gar Düsseldorf? Geht digital nicht mehr! Und solche Beispiele gibt es leider zuhauf.
Festplatten sind kein Ersatz für echtes Radio
Nun kann man argumentieren, dass der Bayerische Rundfunk nunmal für Bayern und nicht für Hessen sendet. Der Südwestrundfunk ist für die Versorgung von Nordrhein-Westfalen formal betrachtet ebenfalls nicht zuständig. Dennoch ist es meiner Ansicht nach falsch, über Jahrzehnte gewachsene Sendegebiete zu zerstören.
Natürlich bekommen die Hörer für den Wegfall einiger Radiostationen auch neue Programme dazu. Aber sind voicegetrackte Sender wie 80s80s und Nostalgie wirklich ein Ersatz für höherwertige Programme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus den Nachbar-Bundesländern? Wohl kaum!
Anstelle von Rundfunk wird das terrestrische Radio eher zum Richtfunk. Wer auch nur wenige Kilometer in ein Nachbar-Bundesland einstrahlt, braucht eine „Überstrahlungsvereinbarung“. So einen Unsinn, der freilich auch den knappen Frequenzressourcen geschuldet ist, hätte es zu „UKW-Zeiten“ nicht gegeben.
Mehr Frequenzen erforderlich
Wenn DAB+ irgendwann UKW ablösen soll, braucht es mehr Frequenzen – ähnlich wie der UKW-Bereich vor Jahrzehnten zunächst bis 104 und später bis 108 MHz erweitert wurde. Die über Jahrzehnte gewachsenen UKW-Sendegebiete müssen zumindest annähernd auch auf DAB+ abgebildet werden. Das ist mit der jetzigen Frequenzausstattung kaum machbar.
Kritisch sehe ich aber auch den Netzausbau für die eigentlich vorgesehenen Sendegebiete. Oft werden Sendeleistungen zu niedrig angesetzt. Das Sendernetz ist nicht engmaschig genug, um auch jede Erdgeschoss-Wohnung – wenn schon nicht jeden Keller – zu versorgen. Wo UKW zumindest in Mono noch störungsfrei hinkommt, ist DAB+ oft gar nicht mehr zu empfangen.
Aus heutiger Sicht wünsche ich mir, dass es noch sehr lange eine Koexistenz von UKW und DAB+ gibt. Auf UKW kann ich Programme oft weit über ihre eigentlichen Sendegebiete hinaus empfangen. Dafür gibt es auf DAB+ neue Spartenkanäle, für die auf UKW kein Platz mehr wäre. Vielleicht sind wir ja in zehn Jahren – zum 20. Bundesmux-Geburtstag – schlauer, wohin die Reise beim terrestrischen Radio geht.