Wir schreiben das Jahr 1982. Ich bekomme im zarten Alter von zwölf Jahren eine Ausgabe der Zeitschrift ELO in die Hand, in der unter anderem ausführlich über eine Radiostation berichtet wird, die vom Südtiroler Sterzing aus privaten Hörfunk für Bayern macht. Radio Brenner nannte sich die Station, die ich kurze Zeit später sogar anlässlich einer Urlaubsreise, die über die Brenner-Autobahn nach Klausen in Südtirol und dann weiter an die Riviera führte, empfangen konnte.
Mich hatte es fasziniert, dass nun auch Bayern sein „Radio Luxemburg“ hatte – also einen privaten Hörfunksender, der vom Ausland aus ins Zielgebiet einstrahlte. RTL kannte ich zu diesem Zeitpunkt bereits, gehörte ich doch schon als Achtjähriger zu den regelmäßigen Hörern des „Fröhlichen Weckers“, wie sich die Frühsendung bei Radio Luxemburg damals nannte.
Aber auch Radio Brenner sollte mich seit diesem Erstkontakt nicht mehr loslassen. Im Sommer 1983 waren meine Eltern und ich zu Besuch bei Verwandten in Erding. Dort war der Sender auf 104,05 MHz gut, wenn auch nicht ganz ohne Fading, zu empfangen. Völlig einwandfrei war dort seinerzeit der Empfang von Radio M1 auf 104,7 MHz. M1 war sogar in Stereo rauschfrei zu hören.
Auf dem Rückweg nach Hause machten wir bei weiteren Verwandten in Erlangen Zwischenstopp. Radio M1 war auch dort noch perfekt zu empfangen, während Radio Brenner nur noch mit Schwundeinbrüchen hereinkam. Später konnte ich Radio M1 sogar zuhause empfangen. Dieses Glück war allerdings nicht von langer Dauer, denn diese Möglichkeit bestand nur aufgrund troposphärischer Überreichweiten.
Dennoch verfolgte ich die Szene der Südtiroler Sender, die gezielt nach Bayern sendeten weiter. Radio Brenner nannte sich im Sommer 1986 in Südtirol eins um und hatte dank des gleichen Senderstandorts, den drei Jahre zuvor Radio M1 verwendet hatte, nun auch deutlich bessere Ausbreitungsbedingungen als früher. Bei Überreichweiten schafften es die Wellen vom Schwarzenstein in den Zillertaler Alpen hin und wieder bis zu mir.
Moderatoren wie Bernd Kühl, Waldemar Müller, Christian Stürmann, Rainer Limpert usw. waren für mich regelrechte Stars. Es war stets ein erhebendes Gefühl, wenn ich die Senderkennung von Südtirol eins auf Autobahn-Fahrten Richtung Adria etwa auf Höhe der Raststätte Nürnberg-Feucht erstmals aus dem Rauschen heraushören konnte.
Sendungen wie Hello Morning Sun, die Hörbar, Espresso, der Dauerbrenner und die Oldienacht – das war für mich Radio in der Form, wie ich es mir auch für die seinerzeit im Aufbau befindliche deutsche Privatfunklandschaft gewünscht hätte. Mittelständische Firmen, kleine, engagierte Teams, die mit geringen Mitteln versuchen, das beste für ihre Hörer herauszuholen. Leider gibt es das heutzutage kaum noch.
Südtirol eins wird für mich somit wohl immer der Inbegriff des wahren, des perfekten Privatradios sein. Schade, dass es den Sender seit 1991 nicht mehr gibt. Der heutige gleichnamige Bozener Privatsender, der landesweit in Südtirol zu empfangen ist, hat abseits des Namens nichts mit dem Original zu tun.
Gemeinsam mit Hobbyfreunden suche ich bereits seit Jahren nach den Musiktiteln, die Südtirol eins für seine Jingles und als Kennungen für die einzelnen Sendungen genutzt hat. Dabei war Happy Time von Peter Moesser’s Music, das Indikativ des Dauerbrenners, noch die kleinste Übung.
Ein Hobbykollege aus München entdeckte vor einigen Jahren schließlich den Titel You and Me von Albert West. Eindeutig: Der Anfang dieses Songs wurde für die Haupt-Senderkennung von Südtirol eins verwendet.
Ein besonders harter Brocken war es aber, die Kennmelodie der Frühsendung Hello Morning Sun zu finden. Zwischenzeitlich gab es sogar das Gerücht, der Song sei speziell für Südtirol eins aufgenommen worden. Dafür sprach, dass es über dieses Musikstück nichts, aber auch absolut nichts im Internet zu lesen gab.
Was haben wir uns alle bemüht, eine möglichst gute, vom Radio aufgenommene Version zu bekommen. Sogar ein Hobbyfreund, der damals noch in Leipzig wohnte und dort sehr oft Südtirol eins empfangen konnte, half mit und hatte einen Mitschnitt im Archiv, auf dem der Song besonders lange zu hören war, bevor Bernd Kühl „hineinquatschte“, um seine Hörer zu begrüßen.
Und am vergangenen Montag ging alles dann plötzlich ganz schnell. Nachts dachte ich mir, ich könnte doch mal wieder das Internet nach Hello Morning Sun absuchen. Das hatte ich lange nicht gemacht und frühere Versuche, doch einen Anhaltspunkt zu diesem Titel zu ergattern, waren stets gescheitert.
Jetzt aber stieß ich über die Google-Suche auf die österreichischen Musiker Chris & Cliff, die praktisch im Nachgang der früheren Band Blue Tramps aktiv waren und 1978 einen Titel namens Hello Morning Sun bei Polydor veröffentlicht haben. Ich schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um das seit Jahrzehnten gesuchte Musikstück handelt, als sehr hoch ein.
Ich involvierte einen weiteren Hobbyfreund aus Neu-Ulm, der am Montagvormittag auf die Soundcloud-Seite der Blue Tramps stieß. Ein Medley von Chris & Cliff gab es hier. Kurz reingehört und sofort erkannt: Das klingt vom Sound her wie Hello Morning Sun. Am Ende der Aufnahme war der Song dann schließlich zu hören. Sensationell!
Hello Morning Sun gibt es weder bei Spotify, noch bei iTunes. Nicht einmal eine schlechte YouTube-Aufnahme gibt es. Aber da war ja die Webseite der Blue Tramps. Diese hat ein Impressum und so nahm ich mit Cliff, einem der beiden Interpreten von damals, Kontakt auf. Dieser freute sich sehr, dass sich nach so langer Zeit noch jemand für den vielleicht schon vergessen geglaubten Titel interessierte.
Cliff stellte mir Hello Morning Sun als MP3-File zur Verfügung. Dafür auch an dieser Stelle nochmals herzlichen Dank. Ich habe den Titel in den vergangenen 48 Stunden gefühlt 100 Mal gehört. Es ist für mich die Erkennungsmelodie DER Frühsendung im deutschsprachigen Radio überhaupt. Es ist Erinnerung an eine Radiozeit, die es leider nicht mehr gibt.
Wer würde heute noch Nachrichten im Stil von Bernd Kühl vortragen („Bergarbeiterstreik in Sibirien beendet – denen wirds zu kalt geworden sein“)? Wer kommt heute noch ohne beratergesteuerte langweilige Playlisten aus, die sich immer und immer wieder wiederholen?
Südtirol eins machte Radio mit Herz, nicht mit Voicetracks und Automation. Und hunderttausende von Hörern in Tirol und Bayern, die den Sender empfangen konnten, werden dem kleinen Team aus Sterzing (Zitat Kultmoderator Waldemar Müller: „Gleich hinter dem Sterz, ähem hinter dem Brenner“) auf ewig dankbar sein.
Hat dies auf Swen Kuboth rebloggt.
Radio Brenner war bei uns damals sogar im Breitbandkabel vertreten! Ab und an fiel der Sender aus, und da ich fast neben der Empfangsstelle wohnte…ähm…wenige mW an einem Stück Draht als Antenne reichten aus, und der Kanal war wieder belegt 🙂
Sehr schön geschrieben. Eine Erinnerung, wie ich sie ebenfalls in meinem Kopfe habe…
Ich finde es außerdem immer wieder schön, dass es noch mehr Menschen gibt, die das gleiche Gefühl, wie ich es hatte, teilen.
Manche hielten mich zeitweise für verrückt, so auf “Radio” zu “spinnen”… Aber das hatte wohl seinen Grund…….
Das ist ja unglaublich, genau dasselbe habe ich erlebt, damals mit Radio Brenner, ich suche auch schon seit Jahren den Titel „Hello Morning Sun“ mich verbinden damit unglaublich viele Erinnerungen, weil der Sender „Radio Brenner“ damals zu meiner Zeit auch so bekannt war, ich komme aus München und hatte den Sender in den Mitte der 80giern ständig laufen, unter anderem „Hello Morning Sun“ aber wie gesagt, auch ich kann leider das Original von damals nicht finden.